Erschienen am: 07.05.2007
Zeitung: Schweriner Volkszeitung
Redakteur: ER, EROS
"Bullen" auf heißen Stühlen
Seit 15 Jahren Elektrorollstuhl-Hockey bei den „Nording Bulls“
Zum wichtigsten Utensil in ihrem Leben ist der Rollstuhl geworden., für elf Männer und eine junge Frau. Ohne dieses Hilfsmittel kommen sie nicht vorwärts; eine Krankheit oder ein Unfall sind schuld. Und ohne „Rolli“ können sie ihren Sport nicht ausüben. Sie, die „Nording Bulls“. Organisiert sind sie im Sportverein 90 Lohmen im Landkreis Güstrow. Ihre Trainingsstätte ist die kleine Sporthalle in Vogelsang im Amt Krakow am See. Elektrorollstuhl-Hockey ist ihre Sportart, gespielt wird dieser Mannschaftssport sogar in zwei Bundesliga-Leistungsklassen.
Lohmen/Vietgest. Schnaufend rollen Alexander Müller und Philipp Raffel vom Spielfeld. Ihr Akku ist schon ziemlich runter, und nicht nur der sprichwörtliche. Mit ihren Rollstühlen fahren sie an eine präparierte Steckdose; Kabel und Trafos sind bereits angeschlossen – für ihr Sportgerät. Eine knappe halbe Stunde waren sie jetzt auf dem Parkett, jagten den kleinen weißen Plastikball hinterher, ihrem Rollstuhl per Joystick die rasantesten Manöver abfordernd. Fast so lange, wie ein offizielles Wettkampfspiel dauert, war diese Trainingseinheit angesagt. Beim Elektrorollstuhl-Hockey, kurz E-Hockey, einem Sport, der beider Akkus belastet – von Technik und Mensch.
Ihre Mannschaft, die Nording Bulls, gibt es seit 15 Jahren und zählt heute zwölf Mitglieder aus vier Bundesländern. Menschen mit den verschiedensten, schwersten Behinderungen und unterschiedlichen Alters haben sich hier zusammengefunden, um in ihrer Sport Bestätigung und Abwechslung zu finden. Die Sportart ist eine offizielle Disziplin im Behindertensport sowie im Deutschen Rollstuhlsportverband (DRS) und wird international in der ganzen Welt betrieben.
Ältester bei den Nording Bulls Günther Bischof (56) aus Neubrandenburg, Youngster der Truppe Silvio Grubert (17), der in Rostock zu Hause ist. Ihre Kameraden kommen auch aus Schleswig-Holstein, Sachsen und Berlin. Die ersten fünf Jahre waren die Spieler um die Gründungsmitglieder Steffen Prochner, Alf Möser und Christian Schad in einem Behindertensportverein in Neubrandenburg organisiert. Seit Anfang 1997 gehören sie zum SV 90 Lohmen, einem Sportverein mit etwa 100 Mitgliedern. Hier haben sie, neben Fußballern und Kunstradfahrern, eine sportliche Heimstatt.
Einmal im Monat ruft Trainer Holger Müller seine „Schäfchen“ zusammen nach Vogelsang in der Gemeinde Lalendorf. Eigentlich ist es eher ein Trainingslager, es dauert das ganze Wochenende über, schließlich sind die Anfahrtswege zum Teil beträchtlich – aus Görlitz, Berlin oder auch aus Dänisch-Nienhof in Schleswig-Holstein. Trainer Müller: „Es macht aber riesigen Spaß. Und es ist auch für mich eine Herausforderung, mit den Jungs etwas zu schaffen, was andere, nicht behinderte Menschen, wohl nicht für möglich halten würden.“ Man spürt es: Der in Groß Lantow bei Laage wohnende Zivilangestellte der Bundeswehr ist schon stolz auf sein Team. Dabei beschränkt sich der Anteil des Vaters von Spieler Alexander Müller nicht aufs Training. Das ist sein Sohn, der wegen einer schweren Muskelerkrankung auf permanente Hilfe angewiesen ist – im Sport und im Alltag überhaupt. Da sind die Trainingsstunden und die Wettkämpfe, ebenfalls im Durchschnitt einer monatlich, zu organisieren, ist der Rollstuhl auch mal zu reparieren, und schließlich ist der Transport des Spieler sicherzustellen.
Alles wäre gar nicht machbar, würde nicht jedem der Sportler ein betreuender Angehöriger oder Freund zur Seite stehen, würden nicht Väter und Mütter, oft die ganze Familie „ihrem“ Spieler die Beteiligung an seinem Sport ermöglichen. Da wird schließlich zu Training- und Wettkampf-Wochenende ein ganzes Tross Fahrzeuge in Bewegung gesetzt, ist die Unterkunft für Mannschaft und Betreuer zu koordinieren... Zum Kopf der Mannschaft zählen so vor allem noch Günter Möser, ob seiner jahrelangen Rührigkeit für die Mannschaft nur „Vater Unser“ genannt. Oder auch Siegfried Kobelt, der Görlitzer, ein „lebendes Inventar“ der Nording Bulls, der mit Stephan den weitesten Weg in den Norden hat.
Stars der Mannschaft sind Kapitän Alexander Müller (19), Philipp Raffel aus Clausdorf bei Satow (1 7), Karl Liermann (19) und Silvio Grubert. Sie gehören dem Leistungskader Mecklenburg-Vorpommern an, wollen sich perspektivisch für die Nationalmannschaft anbieten. Liermann, der Teterower, ist Spitzenreiter bei den Torjägern der 2. Bundesliga. Doch ob Torjäger oder Kaderspieler – sie selbst sehen sich weniger in einer „Star“-Rolle, wissen: „Es ist ein Mannschaftssport, den sie betreiben. Da muss ein Rädchen ins andere greifen, soll der Erfolg sich einstellen.
Und ihre Ziele haben sie hoch gesteckt. In diesem Jahr noch, ihrem ersten bei der Jagd nach Punkten, wollen die Nording Bulls in die 1. Bundesliga aufsteigen. Die Ausgangsposition ist nach zwei von vier Turnier-Spieltagen nicht schlecht, aber auch nicht eben rosig. Der 1. Spieltag, in Plau am See ausgetragen, lief nicht optimal. Gleich den Auftakt, gegen die Black Knights aus Dreieich, vergeigten die Lohmener. Dieses 1:3 liegt ihnen noch schwer im Magen, zumal sich der Erstligaabsteiger aus Hessen noch keine Blöße gab. Alle anschließenden Spiele gewannen auch die Bullen, ebenso die Partien am 2. Spieltag in Bad Kreuznach. Doch sie müssen auf einen Ausrutscher des Kontrahenten hoffen, denn nur der Erste der 2. Bundesliga steigt auf. Nach Berlin am 26. Mai, dem 3. Spieltag, wird die Entscheidung wohl erst zum Saisonausklang am 16. Juni fallen – in der Höhle des Löwen, bei den Black Knights Dreieich.
Empfang beim Präsidenten und Bronze bei Umfrage
Auch am Rande der Bande können die Nording Bulls auf Erfolge verweisen, die bemerkenswert sind. Schon als spektakulär gilt der 3. Platz, den die Lohmener Rollstuhlfahrer bei der Sportlerumfrage der SVZ für das Jahr 2006 belegten. 17 Prozent der Stimmen vereinigten sie in der Mannschaftswertung auf sich, nur die Hansa-Fußballer und die Schweriner Volleyball-Frauen bekamen noch mehr Zuspruch von unserer Leserschaft!
Dazu beigetragen hat sicherlich ein anderer großer Wurf, den der Förderverein der Nording Bulls verbuchen konnte. Der durfte Anfang des Jahres mit Mannschaftsmitgliedern nach Berlin fahren, zum Bundespräsidenten, der die Sieger des Wettbewerbes „Sterne des Sports“ ehrte. Bei diesem besonderen Ausscheid, initiiert vom Deutschen Olympischen Sportbund und den Volks- und Raiffeisenbanken, geht es um das Engagement von Sportvereinen über das Sportliche hinaus. Der Förderverein der Nording Bulls wurde in der Region Güstrow zum Sieger gekürt und bekam dafür den „Großen Stern des Sports“ in Bronze, dem folgte der Silberne für den Sieg in der Landeswertung. Als es bei der bundesweiten Auswertung um die Verteilung der „Goldenen Sterne“ ging, bekamen die Lohmener von diesen zwar keinen ab, doch ihre ehrenamtliche Arbeit im Vergleich mit den Siegern aller Bundesländer war immerhin noch einen Scheck des Bundespräsidenten wert.
Und finanzielle Unterstützung können die Nording Bulls reichlich gebrauchen. Sicherlich gibt es Förderungen für die behinderten Sportler, doch deren Lieblingssport fordert einen Aufwand ab, wie er seinesgleichen sucht. Dazu organisieren die Bullen selber Wettkämpfe, wie den Euro-Cup, den sie in diesem Jahr (29. Juni bis 2. Juli), zur fünften Auflage, wieder nach Güstrow holen.
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